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29.10.-4.11.17


Unrecht benennen, den Weg zur Umkehr freihalten

Micha 6,8


Warum spricht der Prophet Micha diese Ermahnung überhaupt aus? Warum? Er wendet sich mit dieser Mahnung gegen zwei Missstände in seiner Gesellschaft: Zu einen klagt er die soziale Ungerechtigkeit an, oder besser gesagt: Er wirft seinen Landsleuten kriminelles Verhalten gegenüber den sozial Schwachen vor: „Ihr bringt Häuser und Felder gewaltsam in Euren Besitz. Arglose Wanderer überfallt ihr, als wäre Krieg. Wegen jeder Kleinigkeit pflegt ihr zu pfänden. Wenn ihr etwas abzuwiegen habt, benutzt ihr gefälschte Waagen und gefälschte Gewichte.“

Sympathisch, dass Micha solche Missstände beim Namen nennt. Ein solch unsoziales und unrechtes Verhalten kann doch nicht im Sinne Gottes sein!

Und er setzt noch eins drauf – das ist das zweite, wogegen er sich wendet: „Meint ihr, es würde Gott gefallen, wenn ihr dann vor ihn hintretet und ihn zu besänftigen versucht mit üppigen Opfern? Meint Ihr, Gott hätte Gefallen an Brandopfern, an tausend Widdern, an Strömen von Öl, am Opfer der Erstgeburt?“

„Nein“, so Micha, „ihr wisst schon, worauf es eigentlich ankommt, wenn ihr vor Gott bestehen wollt: Haltet das Wort Gottes, haltet seine Gebote, behandelt eure Mitmenschen liebevoll und führt euer Leben in Bescheidenheit und Dankbarkeit vor Gott für all das, was er euch an guten Gaben geschenkt hat.“

Offensichtliche Missstände müssen beim Namen genannt werden. Offensichtliches Unrecht muss angeklagt werden. Da müssen auch klare Forderungen erhoben werden: „So nicht, so darf es nicht weitergehen!“ Der Prophet Micha klagt an und weist seine Mitmenschen zurecht.

Als lutherische Protestanten haben wir eine gewisse Scheu, moralische Forderungen auszusprechen. Denn wir haben gelernt: Der Mensch ist Sünder, die Gebote und die ethischen Forderungen machen ihn nicht besser. Allein die Gnade Gottes könne ihm helfen.

Das ist zum einen richtig. Wir sind in gewisser Weise in der Tat unverbesserliche Sünder. Trotzdem muss Unrecht klar als Unrecht, Lüge als Lüge, Heuchelei als Heuchelei bezeichnet werden. Und der Ruf zur Umkehr muss klar zu hören sein. 

Es wäre ein Unding, wenn z. B. Eltern nicht mehr wagten, ihre Kinder zu erziehen, weil sie ihren erzieherischen Ansprüchen selbst nicht genügen. Wir leben alle von der Vergebung. Aber wir leben auch davon, dass wir uns an den ethischen Forderungen orientieren, dass wir uns um die Erkenntnis des Guten und des Bösen bemühen, dass wir uns selbst bemühen und uns gegenseitig dabei helfen – auch durch Ermahnungen, das Gute und Rechte zu tun. 

Bis auf das letzte i-Tüpfelchen hat das Gesetz weiter seine Gültigkeit, hat Jesus gesagt. Die Gnade Gottes bedeutet nicht, dass von den Geboten Abstriche gemacht werden dürften. Unrecht bleibt Unrecht und muss als solches aufgedeckt werden. Die ethische Forderung behält ihre volle Gültigkeit. 

Gottes Zorn über unsere Ungerechtigkeiten können wir nicht durch Opfer besänftigen, sagt Micha. Das ist auch die neutestamentliche Aussage. Was wir angesichts unserer Verfehlungen tun können, ist, umkehren, Reue zeigen, unsere Schuld einsehen und den Weg der Besserung beschreiten. Dieser Weg steht uns immer offen. Denn die Vergebung Gottes befreit uns immer wieder zu einem neuen Anfang im Guten. 

Wir sollten die Mahnung des Micha also nicht – als unevangelisch – von uns weisen. Nehmen wir sie uns zu Herzen, prüfen wir uns selbst, ob wir nicht wider besseres Wissen Unrechtes tun, kehren wir um und bitten wir Gott in aller Bescheidenheit um seine Vergebung und seine Unterstützung bei unseren Versuchen, ein Leben in seinem Sinne zu führen. 

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 10. Oktober 1989)

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