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Exaudi (2.6.19)


„Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“

4. Mai 2008

Exaudi

(6. Sonntag nach Ostern)

Römer 8,26-30

 

Himmelfahrt liegt hinter uns und Pfingsten liegt vor uns. Jesus ist nicht mehr da - weder leibhaftig noch als der Auferstandene. Er ist gen Himmel gefahren, sagen die neutestamentlichen Texte. Die Jünger bleiben allein zurück. Noch ist für sie nicht klar, wie es weitergehen kann und soll.

Als die Jünger am Himmelfahrtstag zu Jesus aufschauen, wie er da oben auf dem Ölberg bei Jerusalem steht und zu ihnen spricht, schauen sie wenige Augenblicke später ins Leere. Denn er ist vor ihren Augen entschwunden. 

Auch in ihren Herzen mag sich in dem Augenblick eine große Leere aufgetan haben. 

Sie waren bis dahin ihrem Herrn und Meister gefolgt, hatten auf ihn geschaut und gehört. Es hatte sie schon fast ins Bodenlose gestürzt, dass er gekreuzigt und ins Grab gelegt worden war. Dann war er ihnen wieder erschienen als Auferstandener. Das war zwar in höchstem Maße sonderbar. Aber es schien irgendwie weiterzugehen. Er war immer noch irgendwie da. 

Aber nach Himmelfahrt waren sie gänzlich allein. Zwei Engel sprechen den Jüngern Trost zu: „Was schaut ihr nach oben? Er wird wiederkommen.“

Er wird wiederkommen, aber wann? Und was sollten sie bis dahin machen? Wie sollten sie die Zeit bis dahin ausfüllen? 

Jesus selbst hatte ihnen noch ein Wort genannt, bevor er vor ihren Augen entschwunden war, ein Wort, das auch Paulus in unserem heutigen Predigtabschnitt nennt. Jesus sagte zu ihnen: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen.“

Der Geist, der heilige Geist. „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“, sagt Paulus. 

Kann denn der Geist eine Hilfe sein? Was ist denn der Geist? Ist der Geist nicht eigentlich nichts? 

Im Vergleich zur Leibhaftigkeit eines Menschen kann der Geist in der Tat erscheinen wie - nichts. Wenn es - wie bei den Jüngern - um den Abschied von jemandem geht, der ihnen eine intensive Zeit lang leibhaftig nahe gewesen war, den sie hatten anschauen und anhören und anfassen können, der mit seiner leibhaftigen Nähe für sie Sicherheit, Geborgenheit und Wegweisung bedeutet hatte, dann erscheint der Hinweis auf den Geist in der Tat als schwacher Trost.

Aber dennoch, wir sollten die Kraft und Bedeutung des Geistes nicht unterschätzen. 

Wir können z. B. feststellen, dass wir heute hier versammelt sind, um zu bedenken, was vor 2000 Jahren geschehen ist. Wir befassen uns heute mit dem, was der, der vor 2000 Jahren gen Himmel entschwunden ist, gesagt und getan hat. Wir befassen uns nicht nur mit ihm, wir lassen uns auch in vielfacher Hinsicht von ihm leiten, richten unser Leben in mancher Hinsicht nach ihm aus, sind vielleicht bereit, Nachteile auf uns zu nehmen, und sind unter gewissen Voraussetzungen vielleicht sogar bereit, unser Leben aufs Spiel zu setzen. Das alles, obwohl er nicht mehr leibhaftig unter uns ist und seine leibhaftige Gegenwart schon zwei Jahrtausende zurückliegt. Die Kraft, die über die zweitausend Jahre hinweg wirkt, nennen wir Geist.

Mit ihm sollte sich die innere Leere in den Jüngern bald füllen. Darüber hören wir am kommenden Sonntag in der wundersamen Pfingstgeschichte von der Ausgießung des heiligen Geistes. 

Es ist übrigens nicht nur die Art der Pfingsterzählung wundersam. Der Geist selbst ist etwas sehr Wundersames. Wir können nur seine Wirkung beschreiben: die Tatsache eben z. B., dass wir nach 2000 Jahren hier im Namen Jesu versammelt sind. Aber was der Geist nun eigentlich ist, das ist so ähnlich wundersam wie die Anziehungskraft der Erde. Wir beobachten, dass Gegenstände nach unten fallen, dafür gibt es eine Formel und eine Bezeichnung. Aber worin diese Kraft eigentlich besteht, das ist sehr geheimnisvoll. 

Auch dass der Mond um die Erde und die Erde um die Sonne kreist, lässt sich mit Begriffen und Formeln beschreiben. Aber worin die Kraft besteht, die für die immer gleichen Bahnen sorgt, obwohl dazwischen ja eigentlich nur Leere ist, bleibt geheimnisvoll. Und wie im Großen der Kosmos, so bestehen auch die kleinsten Teile unserer Materie, die Atome vor allem aus leerem Raum - und dennoch sorgen Kräfte dafür, dass alles in geordneten Bahnen verläuft. Das ist schon sehr sonderbar und wundersam. 

Verzeihen Sie diese Hinweise. Sie sollen nur deutlich machen, dass unser materielles und leibhaftiges Sein von Kräften durchwaltet ist, die wir nur an ihren Wirkungen erkennen. 

Die Wirkung des Geistes, um die es uns heute geht, die Wirkung des Geistes Jesu, ist enorm. 

Es ist nicht einfach nur so, dass wir hier nach 2000 Jahren in seinem Namen versammelt sind. Es ist eine weltweite Kirche aus der Kraft dieses Geistes entstanden. Und die Kraft des Geistes Jesu hat endlos viele Menschen in ihren Herzen und Köpfen bewegt. Der Geist Jesu hat die Kraft gehabt - und hat sie bis in diese Stunde hinein, Menschen zu trösten, Geborgenheit zu schenken, Mut zu machen und Vertrauen und Hoffnung zu stärken und Perspektiven für ein erfülltes, zufriedenes, sinnvolles Leben aufzuzeigen.

Die Jünger haben z. B. mit der Enttäuschung fertig werden müssen, dass sie ihren Jesus nur für so kurze Zeit gehabt haben, dass sie dann so unvermittelt auf eigenen Beinen stehen und eigenständig formulieren und vertreten mussten, was er ihnen gesagt und bedeutet hatte. Das ist ihnen gelungen. Sie haben die Kraft empfangen, die geistige Kraft, die ihre Herzen gestärkt hat - und ihre Hirne - und die es ihnen möglich gemacht hat, trotz eigener Unsicherheiten und Zweifel und auch trotz unterschiedlicher Auffassungen im Jüngerkreis und auch gegen Widerstände und Bedrohungen von außen weiterzugeben, was sie von Jesus empfangen hatten.

Die geistige Kraft Jesu beeinflusst auch hier und jetzt unsere Befindlichkeiten und Entscheidungen, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Wie wir uns fühlen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie wir uns innerlich anrühren lassen.

Und wie wir uns entscheiden und verhalten, hängt nicht zuletzt davon ab, wie weit wir das berücksichtigen, was er gesagt und getan und geraten hat. 

Ob wir uns z. B. bei jemandem, der uns etwas Gemeines angetan hat, mit einer ähnlichen Gemeinheit rächen oder uns von dem biblischen Wort leiten lassen „Vergelte Böses mit Gutem“, das hängt davon ab, wie weit wir den Geist Jesu in unsere Entscheidung einfließen lassen. 

Viele Menschen - und zunehmend mehr - sind bereit, sich auf die Vorgaben Jesu einzulassen. Wenn wir in die Zeitungen schauen und auf den Bildschirm zu Hause, dürfte uns ganz schnell deutlich werden, wie viel davon abhängt, in welchem Geist wir unser Leben gestalten. 

Die Jünger Jesu waren zwischen Himmelfahrt und Pfingsten vielleicht noch etwas unsicher, ob sie sich von den Enttäuschungen und von ihrer Traurigkeit und von der Übermacht der Mächtigen oder von der äußerlich so schwach erscheinenden friedvollen und liebevollen Art Jesu leiten lassen sollten. Sie haben sich schließlich von dem Letzten leiten lassen. Pfingsten markiert dafür den Beginn. 

Hinter der äußerlichen Schwachheit Jesu haben sie die innere Kraft entdeckt, die von Jesus ausgegangen ist, die Kraft seines Geistes. Es ist der Geist der Liebe und des Friedens, der Vergebung, der Versöhnung, der Hoffnung.

Dieser Geist hat sie stark gemacht und hat sie beflügelt, in die Welt hinauszutragen, was sie von Jesus, dem Christus, empfangen hatten. 

Und so sind auch wir heute hier - nach 2000 Jahren - im Geiste Jesu versammelt. Ihm sei Dank und Ehre in Ewigkeit.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 4. Mai 2008)

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