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Pfingstmontag (10.6.19)


Göttliche Botschaft - menschliche Boten

1. Juni 2009

Pfingstmontag

Matthäus 16,13-19


Pfingsten ist das Gründungsfest der Kirche. 

Was wäre, wenn es die Kirche nicht gäbe? Dann säßen wir hier jetzt nicht beisammen. Dann gäbe es auch nicht die schöne Musik von Bach, die wir gehört haben und noch hören werden. Dann gäbe es nicht die vielen Choräle, es gäbe überhaupt keine Kirchenmusik. Es gäbe keine Kirchengebäude, keine christlichen Gottesdienste. Es gäbe nicht die vielen Einrichtungen der praktizierten christlichen Nächstenliebe. Es gäbe nicht Weihnachten, nicht Ostern, nicht Pfingsten, es gäbe all die kirchlichen Feste nicht. Es gäbe vermutlich die Geschichten über Jesus nicht. Es gäbe vermutlich den Teil der Bibel nicht, den wir das Neue Testament nennen. Die Erinnerung an jenen Jesus von Nazareth, in dem damals einige den Christus erkannten, wäre vermutlich schnell verblasst. 

Aber es gibt die Kirche. Gott sei's gedankt. Es gibt sie seit zweitausend Jahren und über den ganzen Erdball verbreitet. Es hat sich im Laufe der Geschichte zwar auch manches Ungute durch die Kirche ereignet. Aber durch die Kirche ist vor allem die segensreiche Botschaft Jesu bis in den heutigen Tag hinein überliefert und gestaltet worden: die Botschaft vom liebevollen Ja Gottes zum Menschen.  

Wie hat es mit der Kirche angefangen? Grundlegend ist Jesus Christus selbst. Hätte es ihn nicht gegeben, wäre die Kirche gar nicht erst entstanden. Aber Jesus ist gen Himmel gefahren. Danach hätte er auch wieder in Vergessenheit geraten können. Das ist zum Glück nicht geschehen.

Waren es nun große Persönlichkeiten, die für die Ausbreitung des christlichen Glaubens gesorgt haben?  Eine große Persönlichkeit ist sicherlich Paulus. Er hat Gemeinden in der heutigen Türkei gegründet, in Griechenland und schließlich in Italien. 

Eine andere Persönlichkeit nennt uns der heutige Predigttext: Petrus, einen der Jünger Jesu, Petrus, der eigentlich Simon hieß. 

In der Lesung aus dem Matthäusevangelium haben wir gehört, wie Jesus zu seinem Jünger Simon sagte: „Simon, du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen.“ Petrus ist ein Name, der vom griechischen Wort „petros“ kommt, auf Deutsch „Felsen“. Wir haben hier also ein Wortspiel vor uns. Petrus - der Fels. Jesus sprach allerdings nicht Griechisch, sondern Aramäisch. Aber Matthäus schrieb sein Evangelium auf Griechisch. So ist es über ihn zu diesem Wortspiel gekommen. 

Auf Petrus beziehen sich die Päpste in Rom. Sie verstehen sich als Nachfolger des Petrus und nehmen auch dessen besondere Stellung für sich in Anspruch.

Über Petrus schreiben die neutestamentlichen Texte allerdings manches, was nicht gerade vorbildlich ist. Wir lesen zwar in unserem heutigen Text einerseits von seinem Bekenntnis zu Jesus als dem Christus. Und er machte sich zwar auch verdient, was die Verbreitung des christlichen Glaubens anbetrifft. Er hatte aber andererseits so offensichtliche menschliche Schwächen, dass noch einmal die Frage gestellt werden darf: „Waren es große Persönlichkeiten, die für die Ausbreitung des christlichen Glaubens gesorgt haben?“ Petrus hatte Jesus verleugnet. Als Jesus gefangen genommen worden war, hatte Petrus aus Angst um sein eigenes Leben behauptet, Jesus gar nicht zu kennen. Das war alles andere als ein Zeichen von Größe.

Von daher ist es etwas erstaunlich, bei Matthäus zu lesen, dass gerade Petrus der Felsen sein sollte, auf den Jesus seine Gemeinde bauen wollte. Man hätte eher denken können, bei Petrus hätte er auf Sand gebaut. 

Aber nein. Jesus hebt in unserem Predigttext die besondere Rolle von Petrus noch besonders hervor, indem er zu ihm sagt: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.“ In Darstellungen der Kunst trägt Petrus deswegen stets einen Schlüssel in der Hand.

Martin Luther, der mit dem Papsttum seiner Zeit überkreuz lag und es nicht in Ordnung fand, dass sich das Papsttum dieser Bibelstelle von der besonderen Rolle des Petrus bemächtigt hatte, um die eigene Postion zu untermauern, machte auf einen anderen Satz aus dem Matthäusevangelium aufmerksam, der uns ebenfalls als Jesuswort überliefert ist. Da richtet sich Jesus nämlich nicht speziell an Petrus, sondern an die ganze Schar der Jünger. Er sagt zu ihnen - ähnlich wie in dem eben zitierten Satz: „Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.“

Es ist in den zwei Jahrtausenden immer wieder eine Frage gewesen - und sie wird bis heute diskutiert, welche Rolle der Einzelne in der Weitergabe des christlichen Glaubens spielt und ob es einzelne, besondere Persönlichkeiten gibt - wie z. B. Petrus, die dafür eine bevorzugte Stellung und besondere Rechte beanspruchen können. 

Luther hat das allgemeine Priestertum betont, das Recht also eines jeden getauften Christen, das Anliegen Jesu in seinem Namen in die Welt hinauszutragen und in seinem Auftrag tätig zu werden und z. B. auch zu taufen. Nur um der Ordnung willen legte er fest, dass diejenigen, die sich der kirchlichen Aufgaben besonders annehmen wollten, dafür auch eine ordentliche Ausbildung erhalten und formell in ihr Amt eingesetzt werden sollten. 

Es gibt auch für Luthers Position noch eine Bibelstelle, die uns ebenfalls als Wort Jesu überliefert ist. Da sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Wer euch hört, der hört mich.“ Das ist schon ein erstaunliches Wort. Denn auch die Jünger waren - in Anführungszeichen - „nur“ Menschen wie wir. Und wir kennen uns ja selbst. Wir wissen doch, wie wir manchmal so reden. Auch wenn wir vom Glauben reden und auch wenn wir es ganz erst meinen, werden wir uns immer unserer Schwächen, unserer Zweifel, unserer möglichen Irrtümer bewusst sein. Und auch wer als Pastor, als Pfarrer und Priester voll ausgebildet und offiziell beauftragt und ordiniert ist, wird niemals vergessen, dass er oder sie als kleiner Mensch von dem großen Göttlichen redet, was ja weit über menschliches Verstehen und Vermögen hinausgeht. 

Auch von einigen Propheten im Alten Testament lesen wir, wie sie die Beauftragung, im Namen Gottes zu reden, zunächst gar nicht annehmen wollten. Jesaja ist, als er von seiner Berufung hört, ganz erschrocken und sagt: „Weh mir, ich vergehe! Denn meine Lippen sind unrein.“ Und Jeremia sagt: „Ach Gott, ich tauge nicht zu predigen, denn ich bin zu jung!“ Besonders diejenigen, die das geistliche Amt gerade erst antreten, fragen sich oftmals: „Wer bin ich eigentlich, dass ich anderen diese große Botschaft weitergeben darf?!“

Auch für die Jünger Jesu war das ein großer, übergroßer Auftrag. Sie waren alle keine großartigen Gestalten. Sie waren einfache Menschen mit allzumenschlichen Charakterzügen, durchaus auch eitel, wie Jakobus und Johannes, die im Himmelreich gern zur Rechten und Linken Jesu sitzen wollten und in dem Augenblick wohl nicht daran gedacht hatten, welche große Verantwortung mit einer solchen Position verbunden und welche Leidensbereitschaft dafür erforderlich war. Und dass Petrus Jesus verleugnet hatte, war eigentlich besonders schäbig. 

Aber - und das können wir nach zweitausend Jahren Kirchengeschichte feststellen - der christliche Glaube hat sich trotz aller menschlichen Schwächen und Irrtümer und gröbster Verirrungen über den ganzen Erdball ausgebreitet und hat seine innere Kraft und Überzeugungskraft und Reinheit bewahrt und ist bis in den heutigen Tag hinein frisch und kraftspendend als die nie versiegende Quelle neuen Lebens. 

Der Blick in die Kirchengeschichte kann uns zum einen erschrecken. Aber es ist zum anderen tröstlich zu sehen, dass sich die christliche Botschaft durch alles menschliche Versagen hindurch durchsetzt und sich immer wieder neu entfaltet.

Von daher können wir auch manche Entwicklungen in unserer Kirche heute, die uns als Irrweg erscheinen mögen, mit einer gewissen Gelassenheit betrachten. Austritte hier und da, fragwürdige Organisationsstrukturen hier und da - das müssen wir zwar nicht stumm hinnehmen. Aber das braucht uns auch nicht zu Überreaktionen hinzureißen. 

Ein jeder von uns möge einfach nach bestem Wissen und Gewissen und Glauben beitragen, was er kann und was sie kann, um weiterzugeben, wozu wir durch Christus beauftragt sind. 

Es bleibt ein Wunder, ein Geschenk Gottes, dass aus unscheinbaren Anfängen durch letztlich einfache Menschen eine weltweite Kirche geworden ist. 

Es ist die innere Kraft des christlichen Glaubens, die Kraft des göttlichen Geistes, die sich durchgesetzt hat. Die Kirche als Organisationsstruktur ist Menschenwerk. Die Kirche als Leib Christi ist Gottes Werk. 

Möge der Geist Gottes weiter kräftig wehen - über alle Grenzen hinweg. Möge er unsere Herzen und die Herzen vieler Menschen erfüllen, uns trösten, unseren Glauben stärken und die Kirche immer wieder auf den rechten Weg führen.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 1. Juni 2009)

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