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7. Sonntag nach Trinitatis (18.7.21)


Aus wenig kann viel werden

3. August 2003

7. Sonntag nach Trinitatis

Johannes 6,1-15 


Jesus sagte einmal: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Und er fügte hinzu: „Sondern auch vom Wort Gottes.“

Leibliche Nahrung und geistliche Nahrung sind beide für das Wohlergehen des Menschen erforderlich. Eines allein reicht nicht - weder zum Überleben noch zum Leben in einem qualitativen Sinne. 

Wir haben eben die Lesung von der Speisung der 5000 gehört. 5000 Menschen, die Jesus auf einen Berg gefolgt waren, um etwas von ihm zu hören und von ihm zu erleben. Und dann war es wohl die Zeit des Abendessens.

Jesus beauftragt seine Jünger, Brot einzukaufen - aber für so viele? Das geht ja gar nicht! Zufälligerweise ist in seiner Nähe ein Kind, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische dabei. Jesus erbittet sich die Brote und die Fische, spricht ein Dankgebet und verteilt Brot und Fische an die um ihn Herumstehenden und Herumsitzenden. Am Ende sind alle 5000 Menschen satt. Als Jesus seine Jünger bittet, die Reste einzusammeln, stellt sich heraus, dass viel mehr zurückkommt, als er zu Anfang verteilt hat. 

Das können wir wirklich ein Wunder nennen. Es bleibt uns nun überlassen, dieses Wunder zu erklären.

Es ist ein Wunder, wie wir es so ähnlich tagtäglich erleben. Nur haben wir uns so sehr daran gewöhnt, dass wir es als Wunder kaum noch wahrnehmen. Da streut ein Bauer ein paar Saatkörner auf den Acker - nach einer gewissen Zeit erntet er. Und - wie sich herausstellt: er kann um ein Vielfaches mehr einsammeln, als er ausgestreut hat. Ist das nicht auch ein Wunder, ein ganz großes Wunder?

Wir sagen: So ist eben die Natur. Oder theologischer formuliert: So ist Gottes Schöpfung. Sie ist voller Wunder. Vorhin mit Blick auf das Neugeborene haben wir das ja auch schon festgestellt: Da haben Sie als Eltern am Ende viel mehr empfangen, als sie selbst am Anfang eingebracht haben. Da hat sich über die Monate der Schwangerschaft etwas entwickelt, etwas sehr Geheimnisvolles. Die klitzekleinen Teilchen Ihres eigenen Einsatzes haben sich so sehr vermehrt und so genial kombiniert, dass am Ende etwas ganz Großes und Großartiges dabei herausgekommen ist. 

So ähnlich dürfen wir uns das wohl auch bei der Speisung der 5000 vorstellen. Als Jesus seine Gaben unter die Leute streute - ähnlich wie der Bauer die Saat auf’s Feld - als Jesus seine Gaben, Brote und Fische, verteilen ließ, kam ein Prozess in Gang unter den Menschen. Da kam aus den Menschen heraus noch etwas dazu, was zur Vermehrung dieser Gaben führte, so ähnlich wie beim Bauer die Mineralien im Boden des Ackers. Die Worte Jesu, sein Dankgebet, haben vielleicht auch noch ein übriges dazugetan - wie auf dem Feld die Sonne und der Regen. 

Bei der Verteilung der Gaben wurde etwas in den Menschen ausgelöst: eine gewisse Dankbarkeit, ein guter Wille, der Wunsch zu helfen und zu teilen, Barmherzigkeit, die Freude am Miteinander … Einiges mehr ließe sich aufzählen, was in den Herzen der Menschen angelegt war wie die Mineralien im Boden. Als nun die Gaben, Brote und Fische, auf sie zukamen, begleitet von den Worten Jesu, kamen diese Kraftstoffe in den Menschen in Bewegung, sie wurden frei und lösten etwas aus, was zur Vervielfachung der verteilten Gaben führte. Die Menschen griffen in ihre eigene Tasche und holten etwas Essbares heraus. Denn so ganz ohne was waren sie von zuhause ja doch nicht losgegangen. Davon boten sie den um sie Herumsitzenden und Herumstehenden etwas an. In kürze war alles mobilisiert, was an Nahrungsmitteln vorhanden war. Die ersten Gaben, die Gaben Jesu, waren nur wie ein Auslöser gewesen. Aus wenig ist so am Ende ganz viel geworden. 

Wir könnten jetzt auch umgekehrt sagen: Da ist ganz viel schon im Vorwege vorhanden gewesen an guten Möglichkeiten, an Leben spendenden Kräften, an schöpferischem Potential. Das musste alles nur in Gang gesetzt werden. Jesus hat es in Gang gesetzt, vertrauensvoll, im Vertrauen nämlich auf den guten Willen im Menschen und auf den Beistand Gottes. Es hat geklappt - und es wird immer wieder klappen. Natürlich kann es auch mal anderes ausgehen. Der Bauer muss sich manchmal auch mit einer kargen Ernte zufrieden geben. Aber er weiß einfach, dass in der Natur, in der Schöpfung Gottes, gewaltige Lebenskräfte vorhanden sind, die das Vertrauen auf gute Ernten rechtfertigen. 

Im Menschen, dem Geschöpf Gottes, sind auch ganz große und ganz viele gute Kräfte vorhanden. Sie müssen freigesetzt werden, damit sie sich entfalten können und Gutes bewirken können. Das zu glauben und darauf zu vertrauen, ist Teil unseres Glaubens an Christus. Er selbst ist die gute Saat, die Gott in diese Welt ausgestreut hat - zu unserer Befreiung, zu unserer Erlösung, zur Freisetzung der schöpferischen guten Kräfte in uns. 

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern auch vom Wort Gottes. Es kann z. B. noch so viel Brot vorhanden sein und trotzdem können Menschen verhungern, wenn nämlich diejenigen, die Brot im Überfluss haben, das Brot eigensüchtig oder gedankenlos horten und nichts davon abgeben. Es müsste dann noch die Motivation hinzukommen zu teilen, der gute Wille, der Sinn für Menschlichkeit, Nächstenliebe und Dankbarkeit für das eigene Wohlergehen.

Das Wort Gottes, Jesus Christus, die Mensch gewordene Liebe Gottes zum Menschen, kann diese Motivation auslösen und dann wahre Wunder bewirken. 

Wenn wir in diesem Gottesdienst das Abendmahl feiern, dann dürfen wir das so ähnlich verstehen wie die Speisung der 5000 damals. Wir sind hier zwar nicht 5000 in der Kirche, wir sind überhaupt nicht viele. Aber das, was wir vorn um den Altar herum einnehmen, was wir hier zu essen und zu trinken bekommen, Brot und Wein, ist auch ganz wenig. Es ist mengenmäßig betrachtet nicht geeignet, uns alle satt zu machen. Dennoch kann dieses äußerlich so wenige in uns  ganz viel auslösen, weil in dieser Gabe eine Leben spendende, eine Leben schaffende und Leben vermehrende Kraft steckt. In diesen Gaben, Brot und Wein, steckt die Kraft Gottes, die Liebe Gottes, die hingebungsvolle Liebe Christi, die, wenn wir sie in uns aufnehmen und annehmen, die guten Kräfte in uns löst und die kleinen Gaben in große Gaben verwandelt in unserem Leben, durch unser Leben, durch unsere Hingabe in Dankbarkeit und Liebe. Auf diese Weise werden sich immer wieder kleine und große Wunder vollziehen - mitten unter uns. So sind wir Teil des Wunderwerkes Gottes.

Auch aus wenig kann, mit Gottes Hilfe, viel werden. Christus selbst war, mengenmäßig, auch nicht sehr viel - ein einzelner Mensch. Aber was ist aus ihm geworden?! Eine ganze weltweite Kirche, in der nun schon seit über zweitausend Jahren der gute Geist Gottes weiterwirkt und Menschen zum Guten verändert. 

Seien wir also ganz unverzagt und voller Gottvertrauen, glauben wir an die Kraft des Kleinen und Geringen und Schwachen. Sie kann auf wundersame und wunderbare Weise Großes und Großartiges bewirken.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 3. August 2003)

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