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Pfingsten (23.5.21)


Völkerverständigung

16.  Mai 2005

Pfingstmontag

1. Mose 11,1-9


Wenn wir diese Geschichte vom Turmbau zu Babel im Zusammenhang betrachten mit der Geschichte vom Pfingstwunder, könnten wir das Verhältnis der beiden zueinander beschreiben als das Verhältnis von Gericht und Gnade.

In Babel bestraft Gott die Menschen für ihren Hochmut, indem er ihre Sprachen verwirrt und die Menschen in alle Welt zerstreut. In Jerusalem macht er diesen Vorgang rückgängig. Er rüstet die Apostel mit der Fähigkeit aus, Menschen aus aller Welt, Menschen verschiedener Sprachen, anzusprechen und sich verständlich zu machen. In Babel errichtet Gott eine Sprachbarriere zwischen den Menschen, in Jerusalem hebt er sie auf. 

Warum dieser Wandel? Hat sich der Mensch inzwischen verändert - vom Hochmütigen zum Demütigen? Keineswegs. Das Pfingstereignis ist nicht die Belohnung für Wohlverhalten. Es ist ein reines Gnadenhandeln Gottes. Der Mensch hat sich nicht gebessert, sondern Gott hat sich des sündhaften Menschen erbarmt.

Wie ist es zu der Erzählung vom Turmbau zu Babel gekommen? Vielleicht können wir so antworten: Der das geschrieben hat, hatte sich Gedanken gemacht über die Urgeschichte der Menschen. Woher nahm er seine Ideen? Es wird vielleicht so gewesen sein, dass er die Menschen seiner Zeit beobachtete, wie sie sich verhielten, wie sie miteinander umgingen, wie sie waren in ihrer Art, in ihrem Wesen, und dass er daraus Schlüsse zog, wie es wohl dazu gekommen sein könnte.

Warum ist es so, dass Menschen auf den ganzen Erdball verteilt sind, dass sie in verschiedenen Völkern organisiert sind, dass sie verschiedene Sprachen sprechen und sich nicht verstehen? Dazu lassen sich heute mancherlei wissenschaftliche Erklärungen beibringen. Aber es hätte ja auch alles anders eingerichtet werden können.

Der Autor der Geschichte des Turmbaus zu Babel hat die Trennung der Menschen in verschiedene Völker und Sprachen als Strafe empfunden. Wir werden ihm das wohl nachempfinden können. Zwar hat mancher seine Freude an Fremdsprachen. Sie zu lernen und zu studieren, kann interessant sein. Die Vielfalt der Sprachen ist auch ein kultureller Reichtum, und fast könnten wir sagen: Es wäre ja langweilig, wenn alle die gleiche Sprache sprächen.

Aber aufs Ganze gesehen ist die Sprachenvielfalt eine ungeheure Last. Sie ist ein Hindernis für die Verständigung. Die menschliche Geschichte zeigt - bis in die Gegenwart hinein –, dass die Sprachbarrieren zugleich menschliche Schranken darstellen, dass das sprachliche Nichtverstehen sich verbindet mit einem Unverständnis für die Kultur des anderen Volkes überhaupt - und dass dieses Unverständnis oftmals in Ablehnung und Feindseligkeit umschlägt. Es ist nicht von ungefähr, dass das Finanzamt Bemühungen um Völkerverständigung als gemeinnützig anerkennt und dafür Steuererleichterungen gewährt. Es ist eben bitter nötig, solche Bemühungen zu unterstützen, da es an der Verständigung unter den Völkern weitgehend fehlt.

So können wir also wohl nachvollziehen, dass der Autor der Erzählung vom Turmbau zu Babel die Sprachenvielfalt als Strafe empfunden hat. Da er sich vorgenommen hatte, eine Geschichte der Menschen von Anfang an zu schreiben, wollte er auch darstellen, wie es zur Vielfalt der Sprachen gekommen war. Dabei wird sich unser Autor, der irgendwo in der Gegend des heutigen Israel gelebt haben wird, an Berichte aus der Gegend von Babylon, dem heutigen Irak, erinnert haben, Berichte von hohen Gebäuden, von Gebäuden in einer Höhe, wie dies in Israel unbekannt war. Vielleicht waren diese babylonischen Gebäude in Israel schlecht angesehen, weil sich in ihnen die bedrohliche Größe und Macht eines fremden Volkes zeigte. Da legte es sich für unseren Autor vielleicht nahe, diese schlecht angesehenen Gebäude in den Mittelpunkt einer Erzählung zu stellen, die die Sprachenvielfalt unter den Menschen als Strafe Gottes darstellen sollte.

Der Mann in Israel schrieb nicht gerade eine schmeichelhafte Geschichte über die Menschen in Babylon. Als größenwahnsinnig und ruhmsüchtig beschreibt er sie: „Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen“, legt er ihnen in den Mund. Mit einer etwas ironischen Bemerkung macht er den Größenwahn dieser Menschen lächerlich: Gott muss vom Himmel herniederkommen, weil er dieses angeblich so große Gebäude, das bis zum Himmel reichen sollte, aus der Ferne des Himmels gar nicht wahrzunehmen vermag, so winzig ist es in Wirklichkeit - an der Größe des Himmels gemessen.

So wie unser Autor die Menschen in ihrem Übermut sprechen lässt: „Wohlauf, lasst uns einen Turm bauen, der zum Himmel reiche“, so lässt er auch Gott sprechen: „Wohlauf, lasst uns herniederfahren und ihre Sprache verwirren.“ Die Ironie liegt auf der Hand.

Gott verwirrt die Sprache der Menschen, sie können sich nicht mehr verstehen. Gott zerstreut die Menschen in alle Welt. Ihre Macht ist gebrochen. Die Einheit, in der sie hätten stark sein können, ist zerstört. Und Gott hat ihre Einheit zerstört, weil sie sie in arroganter Absicht missbraucht hatten.

So mag es also zu der Geschichte vom Turmbau zu Babel gekommen sein: Der Versuch einer Erklärung für die in vielfacher Hinsicht hinderliche und belastende Vielfalt der Sprachen als Strafe Gottes. Der Autor will seine Erklärung gewiss nicht wörtlich verstanden wissen. Vielmehr gibt er seinen Beobachtungen der menschlichen Gesellschaft und seinen Empfindungen dazu in dieser sagenhaften Erzählung Ausdruck. Was ihm wohl wichtig ist, ist der Aspekt der Schuld.

Es wird uns nicht leichtfallen, dem Autor in dieser Hinsicht zu folgen, denn die Sprachenvielfalt erscheint uns eher als das Ergebnis natürlicher Entwicklungen, mögen wir sie im Ergebnis oftmals auch wie eine Strafe empfinden.

Wenn wir allerdings nicht nur an die Sprachenvielfalt, sondern an die Kommunikationsstörungen unter uns denken, dann wird uns der Aspekt der Schuld schon eher einleuchten.

Wir erleben ja, dass es auch Menschen gleicher Sprache durchaus schwerfallen kann, sich zu verständigen. Wenn wir sagen: „Wir verstehen uns nicht“, dann meinen wir: Wir sprechen zwar die gleiche Sprache, aber wir kommen trotzdem nicht auf einen Nenner. Wenn sich Menschen nicht mögen, wenn sie etwas gegeneinander haben, wenn sich einer über den anderen erhebt oder einer dem anderen Böses will, dann versagt die Sprache als Mittel der Verständigung, dann verstehen wir alles anders, als es gemeint war, dann zeigt sich, dass die Sprache nicht nur aus Worten besteht, sondern dass sie unhörbar begleitet wird von unausgesprochenen Empfindungen, Absichten, Wünschen, Hoffnungen und dass all dies mit ankommt, wenn einer dem anderen etwas sagt. In dieser Hinsicht sind Kommunikationsstörungen sicher auch mit Schuld verbunden. Wenn wir uns nicht verstehen, dann liegt es zu einem guten Teil auch an uns.

Was nun das Pfingstereignis angeht, so wird es uns hier leichter fallen, dies als göttliche Gnade anzunehmen. Denn sich über sprachliche Grenzen hinweg zu verstehen, ist etwas ganz Wunderbares - wunderbar im wörtlichen Sinne. Das gibt es wirklich, dass Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, sich dennoch verstehen. Dies hängt mit dem zusammen, was ich gerade erwähnte: Wenn sich  Menschen mögen, wenn sie bereit sind, sich zu akzeptieren, wenn sie es gut miteinander meinen, dann brauchen sie nicht viele Worte, dann klappt die Kommunikation auch über Sprachbarrieren hinweg. Wo das geschieht, da ist das ein beglückendes Erlebnis.

Wir erleben es schon als beglückend, wenn wir uns als Deutsche verstehen, denn mit der zwischenmenschlichen Verständigung ist es - trotz gleicher Sprache - auch nicht immer so einfach. Wirklich gute Verständigung ist ein eher seltenes Ereignis.

Pfingsten ist das Fest der Verständigung. Das Verstehen wird uns als das Wirken des heiligen Geistes - und damit als etwas letztlich Unverfügbares geschildert. Das Verstehen ist ein Geschenk, eine Gnade. Das soll nicht heißen, dass wir nicht unser Teil zum Gelingen der Kommunikation beitragen könnten. Aber es bleibt viel Unverfügbares. Verständigung lässt sich nicht erzwingen. Sie ist ein beiderseitiges Geschehen. Und das Zusammentreffen von gutwilliger Mitteilungsbereitschaft und gutwilliger Hörbereitschaft können wir nicht sicherstellen.

Der Evangelist Lukas, der uns das Pfingstwunder schildert, wird uns seine Schilderung vielleicht aus der Erfahrung heraus überliefert haben, dass der Glaube an Jesus Christus bereits die sprachlichen Grenzen überschritten hatte. Zu seiner Zeit hatte sich der Glaube bereits ausgebreitet unter Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen. Wenn wir bedenken, dass alles seinen Anfang genommen hat bei einfachen Menschen, die gewiss keine großartigen Fremdsprachenkenntnisse besessen haben, dann muss es schon als ein großartiges Wunder erscheinen, dass sich heute der Glaube an Christus über den ganzen Erdball ausgebreitet hat. Die Kirche ist zu einer weltumspannenden Einrichtung geworden. Grenzen sind überwunden worden und Grenzen sollen weiter überwunden werden, nicht durch Macht und Gewalt, sondern allein durch die frohe Botschaft von der Liebe Gottes in Wort und Tat.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 16. Mai 2005)

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