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Sexagesimä (12.2.23)


Die gute Saat

15. Februar 2009

Sexagesimae, 2. Sonntag vor der Passionszeit

Lukas 8,4-15


Die Saat und der Boden - das Wort Gottes und wir. Wenn ich Lehrer wäre, könnte ich auch sagen: Der Unterricht und die Schüler.

Bei uns zu Hause im Bücherregel steht ein Buch, das einige von Ihnen vielleicht auch noch haben - aus Ihrer Schulzeit: „Die gute Saat“, eine Fibel aus den fünfziger und sechziger Jahren mit Gedichten und Geschichten für den Deutschunterricht der Klassen zwei bis acht. Vielleicht können Sie einige Gedichte noch auswendig. Vielleicht hat Ihnen der eine oder andere Gedanke daraus in Ihrem Leben gelegentlich sogar mal geholfen.

Wer anderen etwas zu sagen hat, der darf immer wieder gespannt sein, wie seine Worte aufgenommen werden, auf welchen Boden sie fallen, wie das Gleichnis Jesu es bildhaft formuliert. 

„Vergeltet das Böse mit Gutem!“ zum Beispiel. Wie schön ist es, wenn ein solches Wort auf fruchtbaren Boden fällt, wenn es durch die Ohren hindurch auf ein offenes Herz trifft, das erfüllt ist von dem Wunsch, dass endlich Schluss sein möge, mit der unseligen Kette des „Wie du mir, so ich dir“, und das erfüllt ist von der Bereitschaft, mit dem eigenen Leben mal etwas anderes auszuprobieren. 

„Vergeltet das Böse mit Gutem!“ oder wie Jesus es in der Bergpredigt noch anspruchsvoller formulierte: „Liebt eure Feinde!“ Solche Worte werden wohl nur hier und da auf fruchtbaren Boden fallen. Wir merken schon allein beim Hören dieser Worte, wie sich in uns ganz spontan das dornige Gestrüpp hochreckt, um diese Worte gleich wieder zu ersticken, weil wir sie gar nicht in uns wachsen lassen wollen - aus reinem Selbstschutz. Zu fremdartig erscheinen uns solche Anforderungen, ja, Überforderungen. Wo wir angegriffen werden, da sinnen wir eher spontan auf Gegenwehr, da wollen wir uns wenigstens verteidigen. Das Wort Jesu von der Feindesliebe würde uns geradezu schutzlos machen. Und so wird unser Herz hart und fest wie ein schützender Panzer, wie ein Fels, so sagt es das Gleichnis.

Jesus sagt uns gute Worte, das werden wir ihm wohl immer zugestehen. Aber sie sind dem einen oder anderen von uns persönlich in mancher Hinsicht vielleicht etwas zu viel des Guten. Durch unsere Lebenserfahrungen, die wir mit vielen Menschen teilen, sind unsere Herzen in gewisser Weise wie ausgetretene Pfade. Wenn da ein Wort Jesu drauffällt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ beispielsweise, dann kommen gleich ein paar innere Wanderer daher. Der Egoist: „Jeder ist sich selbst der Nächste.“ Oder: „Das Hemd ist mir näher als die Jacke.“ Und der Enttäuschte: „Mir hilft auch keiner.“ Und der Skeptiker: „Reichst du den kleinen Finger, wollen sie gleich die ganze Hand.“ Diese inneren Wanderer zertreten die in unser Herz ausgestreute gute Saat. Den Rest fressen die Vögel auf.

Es ist erstaunlich, dass die Saat dennoch hier und dort auch auf den ausgetretenen Pfaden unserer Herzen aufgeht, ein wenig am Rande vielleicht, wo der Boden noch nicht so festgetreten ist. Wie Unkraut mag es dann erscheinen, das da nicht hingehört, ein untrügliches Zeichen aber dafür, dass das Leben sich immer wieder seine Nischen sucht. Es hat auch etwas Beglückendes zu sehen, wie z. B. aus Mauerritzen Pflanzen, ja, gelegentlich kleine Bäume wachsen, auch wenn sie da nicht hingehören. Wie kleine Gewächse der Hoffnung erscheinen sie uns dennoch. Und wenn in der Wüste Blumen blühen, dann sind wir im Tiefsten angerührt. Wir brauchen solche Zeichen: dass die gute Saat doch aufgeht, auch da, wo wir es nicht vermutet hätten, dass doch irgendwo ein bisschen guter Boden vorhanden ist, auch in uns. Ja, in jedem von uns ist etwas Gutes vorhanden, das Gutes wachsen lassen kann. 

Es gibt allerdings nicht nur die gute Saat. Es ist manchmal besser, wenn manche Saat nicht aufgeht. Wenn hasserfüllte Worte ausgestreut werden - wehe, wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen! 

Es ist wichtig, dass wir auf der Hut sind, dass wir Worte kritisch prüfen und wir wachsam sind, wenn wir erkennen, dass der Boden bereitet werden soll für die ungute Saat. In der deutschen Geschichte der letzten hundert Jahre haben wir erlebt, wie böse Worte in immer mehr Menschen Wurzel gefasst haben, bis das ganze Land übersät war von einem giftigen Gewächs, das viele zu Tode brachte. 

Es bleibt uns diese Aufgabe nicht erspart: dass wir die gute Saat von der schlechten Saat zu unterscheiden versuchen müssen. Das kann einfach und schwierig zugleich sein. Im Nachherein - nach 1945 z. B. - haben sich viele gefragt: „Wie konnten wir nur auf all das hereinfallen, was uns damals gesagt wurde?!“ Und auch nach 1989 haben sich z. B. viele beschämt gefragt: „Wie konnten wir nur unsere Nachbarn und Freunde denunzieren?!“ 

Es geht in dem Gleichnis Jesu nicht nur um den fruchtbaren Boden schlechthin, der alles wachsen lässt, was auf ihn fällt. Es geht um den Boden, der fruchtbar ist für die gute Saat, für das Wort Gottes, das Jesus ausstreut, ja, das er selbst ist.

Es gab zu seiner Zeit Menschen, die seine Worte bereitwillig und mit Freude aufnahmen. Es gab andere, in denen konnten seine Worte nicht Wurzel fassen. So ist es heute auch. Wir können uns über das eine freuen und das andere bedauern. Was wir nicht tun sollten, ist, dass wir das andere verurteilen. 

Es ist auch eine Gnade, aufnahmebereit zu sein für das Wort Gottes und in der Lage zu sein, es in gelebtes Leben umzusetzen. Es ist eine Gnade, glauben zu können und den Glauben leben zu können. 

Der christliche Glaube ist etwas ganz Wunderbares - für den einzelnen Menschen und für die ganze Gesellschaft und auch für unser weltweites Miteinander. Das zu erkennen und zu glauben, ist aber nicht jedermanns Sache. Wenn wir bedenken, was im Laufe der vergangenen zweitausend Jahre zeitweise aus dem christlichen Glauben gemacht worden ist, dann ist auch verständlich, dass manche vorsichtig und skeptisch sind, wenn ihnen der Glaube an Christus angetragen wird. 

Die biblischen Geschichten enthalten Saatgut der allerbesten Qualität. Die biblischen Generationen haben es an die Mitmenschen ihrer Zeit weitergegeben, Jesus hat den Menschen seiner Zeit davon angeboten. Er selbst ist in seiner Person zur guten Saat geworden. Seine Anhänger haben diese Saat in die Welt hinausgetragen, und wir stehen auch vor dieser Aufgabe, davon weiterzugeben. 

Es macht keinen Sinn, andere mit dieser Saat zwangsbeglücken zu wollen. Das würde dem Wesen des christlichen Glaubens nicht entsprechen. Jeder Mensch ist anders. Jeder Mensch hat von seiner Art her, von seinen Lebensbedingungen und Lebenserfahrungen her eine je ganz persönliche Aufnahmebereitschaft für das Angebot des christlichen Glaubens. Mancher kann mit diesem Glauben gar nichts anfangen. Mancher ist von vornherein schon ganz anders - durch eine andere Religion z. B. - fest geprägt. Bei manchen dagegen ist zu spüren, wie erste bewusste nachdenkliche Begegnungen mit dem christlichen Glauben zu wachsendem Interesse führen, zu Aha-Erlebnissen bis hin zu dem Wunsch, dazugehören zu wollen zur Gemeinschaft der Christgläubigen, sich taufen zu lassen oder wieder in die Kirche einzutreten. 

Es macht keinen Sinn, die gute Saat mit dem Schwert in Menschen eingraben zu wollen, wie es im Laufe der Geschichte gelegentlich versucht worden ist. Es macht auch keinen Sinn, jene Menschen schlechtzureden, die auf christliche Verkündigung und auf Versuche, für den christlichen Glauben zu werben, abweisend reagieren. 

Mit der guten Saat kann es sinnvoller- und angemessenerweise nur so gehen, wie es das Bild im Gleichnis Jesu ausdrückt: Wir können das Wort Gottes ausstreuen wie der Bauer die Saat. Das Wachsen und Gedeihen haben wir nicht in unserer Hand. Das liegt beim anderen, in den die Saat hineingefallen ist. Und bei ihm wiederum hängt es von vielem Unverfügbaren ab - wie auf dem echten Land: von Sonne und Regen und einigem mehr, was unverfügbar ist.

Es ist eine Gnade, glauben zu können. Wer dahin gelangt, aus dem christlichen Glauben heraus leben zu können, der kann einfach nur dankbar sein. Und wo das geschieht, da können wir uns alle freuen. 

Wo dies nicht geschieht, sind Geduld und Hoffnung angesagt. Wir können geduldig hoffen, dass in uns die gute Saat wächst und Früchte bringt. Und wir können in geduldiger Hoffnung die gute Saat anderen weiterhin in Liebe anbieten. Das Wachsen und Gedeihen liegt in Gottes Hand.

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 15. Februar 2009)

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