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2. Sonntag nach Ostern (23.4.23)


Petrus ermahnt die Hirten der Gemeinde

9. April 1978

Misericordias Domini

(2. Sonntag nach Ostern)

1. Petrus 5,1-5 


Für man­che Leu­te sind Chris­ten eine et­was son­der­ba­re Gat­tung von Le­be­we­sen, die näm­lich, so mei­nen sie, im Den­ken wohl et­was zu­rück­ge­blie­ben sind, die nicht wis­sen, was in der Welt ei­gent­lich ge­spielt wird, et­was dümm­lich nai­ve Krea­tu­ren also, die nicht fä­hig sind oder nicht den Mut ha­ben, kraft ei­ge­nen Ver­stan­des ihr Le­ben in die Hand zu neh­men, und die sich statt des­sen lie­ber sa­gen las­sen, was sie zu tun und zu las­sen ha­ben.

Wenn Chris­ten sich nun selbst als Scha­fe be­zeich­nen – und sie ha­ben das von An­fang an ge­tan –, dann wol­len sie da­mit nicht ih­rer­seits die ab­fäl­li­ge Mei­nung an­de­rer über sie be­stä­ti­gen. Das Bild vom Schaf bringt zum Aus­druck, dass wir letzt­lich tat­säch­lich nicht die Her­ren un­se­res Le­bens sind, dass wir viel­mehr letzt­lich in viel­fa­cher Wei­se ab­hän­gig sind, ab­hän­gig von der Hil­fe, dem Zu­spruch, der Lie­be an­de­rer, dass wir also nicht aus uns selbst her­aus le­ben kön­nen, son­dern nur durch an­de­re. Das ist am An­fang un­se­res Le­bens, bei der Ge­burt, viel­leicht am deut­lich­sten. Wir brau­chen nur den klei­nen Chri­sti­an hier vorn an­zu­se­hen, und wir er­ken­nen, wie to­tal die­se Ab­hän­gig­keit ist. Klar, wenn wir äl­ter wer­den, ler­nen wir, auf ei­ge­nen Bei­nen zu ste­hen. Aber das biss­chen Selbst­stän­dig­keit, das wir er­wer­ben, nimmt sich recht küm­mer­lich aus ge­gen­über der weit­ge­hen­den Ab­hän­gig­keit, in der wir auch als Er­wach­se­ne ver­blei­ben.

Uns braucht nur je­mand zu be­lei­di­gen, schon sind wir in­ner­lich ver­un­si­chert. Oder wenn wir ar­beits­los oder krank wer­den, stec­ken wir schon in ei­ner Kri­se. Oder manch­mal reicht es schon, dass wir Lan­ge­wei­le ha­ben, dass wir al­lein sind und nichts zu tun ha­ben, und schon füh­len wir uns von Kräf­ten be­droht, die un­ser Le­ben ins Wan­ken brin­gen kön­nen.

Wenn das Wort „Schaf“ heu­te viel­leicht we­gen sei­ner Ne­ben­be­deu­tun­gen et­was un­glück­lich ge­wählt er­scheint, so cha­rak­te­ri­siert es un­se­re mensch­li­che Si­tua­ti­on doch durch­aus tref­fend.

Der Evan­ge­list Jo­han­nes nennt nun Je­sus Chri­stus den gu­ten Hir­ten, weil wir in den vie­len For­men un­se­rer Ab­hän­gig­keit bei Je­sus Chri­stus gut auf­ge­ho­ben sind, sei es in Krank­heit oder in Ein­sam­keit, in Angst, in Ent­täu­schun­gen, in Trau­er oder in Schuld – im­mer fin­den wir bei Je­sus Chri­stus, in den bi­bli­schen Ge­schich­ten über ihn, ein gu­tes Wort, das uns auf­rich­tet, uns ge­sund, uns wie­der froh ma­chen kann.

Für die Zeit zwi­schen der Him­mel­fahrt Chri­sti und sei­ner zwei­ten Wie­der­kehr ist nun die­ses Hir­ten­amt Men­schen auf­ge­tra­gen. In der Ge­mein­de, von der Petrus in un­se­rem klei­nen Pre­digt­text be­rich­tet, sind es die sog. „Äl­te­sten“, die die Lei­tung der Ge­mein­de in­ne­ha­ben und für Ver­kün­di­gung und Dienst eine be­son­de­re Ver­ant­wor­tung tra­gen. An ih­nen soll in be­son­de­rer Wei­se et­was da­von deut­lich wer­den, was Je­sus Chri­stus für uns be­deu­tet, näm­lich die leib­haf­ti­ge Lie­be Got­tes zu uns Men­schen.

Nun ist leicht ein­zu­se­hen – und die Er­fah­rung be­stä­tigt das lei­der –, dass, wenn der Auf­trag, für an­de­re da ­zu ­sein, in­sti­tu­tio­na­li­siert wird, also von Amts we­gen aus­ge­übt wird, nur noch ein fa­der Ab­glanz von dem da­bei her­aus­kommt, was ur­sprüng­lich be­ab­sich­tigt war. Das ist ja be­son­ders das Pro­blem un­se­rer Amts­kir­che. Da gibt es vie­le Äm­ter – die Pa­sto­ren tra­gen so­gar di­rekt den Na­men „Hir­ten“ –, aber auch die vie­len an­de­ren Äm­ter: Sie ha­ben letzt­lich alle die Auf­ga­be, Je­sus Chri­stus als die Lie­be Got­tes zu den Men­schen in Wort und Tat zu be­zeu­gen.

Aber ist das von Amts we­gen zu schaf­fen? Wenn es für die Er­fül­lung die­ser Auf­ga­ben ein ge­re­gel­tes Ge­halt, eine fest­ge­leg­te Ar­beits­zeit, ei­nen ge­nau ab­ge­grenz­ten Ar­beits­be­reich und eine Men­ge Be­stim­mun­gen gibt –, wie sieht es dann noch aus mit der Spon­ta­nei­tät, mit der frei­en Be­we­gung des Her­zens, mit dem Ver­schen­ken der Gna­de und dem dank­ba­ren Emp­fang un­ver­hoff­ter Ga­ben?

Als ich noch Theo­lo­gie stu­dier­te, sag­te mir mal je­mand: „Wenn du erst Pa­stor bist, wird man es dir nicht mehr im Gu­ten an­rech­nen, was du für an­de­re tust, son­dern man wird dir vor­hal­ten, was du für an­de­re nicht tust.“

In der Tat, wenn Barm­her­zig­keit von Amts we­gen ge­übt wird, dann wird sie oft nicht mehr als Ge­schenk emp­fun­den, das des Dan­kes wert ist, son­dern man meint, ei­nen An­spruch auf sie zu ha­ben, man meint, die Barm­her­zig­keit for­dern zu kön­nen, und wenn sie ei­nem nicht ge­währt wird, aus wel­chen Grün­den auch im­mer, sich be­schwe­ren zu kön­nen. Das ist tat­säch­lich lei­der eine fast un­aus­weich­li­che Fol­ge der In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung von Barm­her­zig­keit. Was Je­sus Chri­stus als der gute Hir­te frei ge­schenkt hat, das wird für die Hir­ten in sei­ner Nach­fol­ge zur Rechts­pflicht, und was Men­schen da­mals von Je­sus Chri­stus als Ge­schenk dank­bar ent­ge­gen­ge­nom­men ha­ben, das wird nun zu ei­nem Rechts­an­spruch, auf des­sen Er­fül­lung wir mei­nen be­ste­hen zu kön­nen.

Soll­te es des­halb also lie­ber kei­ne Amts­kir­che ge­ben, statt des­sen nur eine freie Ge­mein­schaft von Chris­ten, in der je­der spon­tan aus sich her­aus in der Nach­fol­ge Jesu Chri­sti le­ben könn­te? Ich mei­ne, es ist un­aus­weich­lich, dass Chris­ten or­ga­ni­siert sind in ei­ner Kir­che, in der be­stimm­te Auf­ga­ben auf be­stimm­te Men­schen ver­teilt sind. Denn so sind letzt­lich mehr Men­schen zu er­rei­chen mit dem Wort und der Tat, mit dem, was Je­sus Chri­stus uns auf­ge­tra­gen hat.

Aber wich­tig ist, dass wir uns der Ge­fah­ren, die mit sol­cher Or­ga­ni­sie­rung der Lie­be Got­tes ver­bun­den sind, im­mer neu be­wusst wer­den, uns stän­dig selbst kon­trol­lie­ren und kor­ri­gie­ren. Eben dar­um geht es in un­se­rem Pre­digt­text. Petrus er­mahnt die Äl­te­sten, die das Hir­ten­amt in der Ge­mein­de in­ne­ha­ben, sich von den Ver­su­chun­gen des Am­tes frei zu ma­chen. Er gibt drei Er­mah­nun­gen:

Erstens: Sie sol­len ih­rer Auf­ga­be nicht aus blo­ßem Pflicht­ge­fühl nach­kom­men, ge­zwun­ge­ner­ma­ßen also, weil sie nun ein­mal in die­ses Amt einge­setzt sind, son­dern sie sol­len es frei­wil­lig tun.

Zweitens sagt er: Sie sol­len ihre Auf­ga­be nicht um des Ge­winns wil­len er­fül­len, son­dern weil sie es von Her­zen gern tun, und

drittens: Sie sol­len in ih­rem Amt nicht Macht aus­üben, nicht herrsch­süch­tig auf­tre­ten, son­dern durch per­sön­li­ches Vor­bild ih­rer Ge­mein­de die­nen.

Das sind die drei Er­mah­nun­gen des Petrus an die Äl­te­sten. So selbst­ver­ständ­lich sie klin­gen, so we­nig selbst­ver­ständ­lich sind sie ein­zu­hal­ten.

Wie steht es zu­nächst mit der Frei­wil­lig­keit in der Er­fül­lung un­se­rer Auf­ga­ben? Wenn ich eine alte Dame be­su­che, weil es mir ein per­sön­li­ches An­lie­gen ist, sie zu be­su­chen, dann ist das eine gute Sa­che. Ich tue es frei­wil­lig, von Her­zen. Wenn ich die alte Dame von Amts we­gen be­su­che, weil es also mei­ne be­ruf­li­che Pflicht ist, dann kann mir der Be­such auch noch ein per­sön­li­ches An­lie­gen sein. Ich kann also zu­gleich auch frei­wil­lig hin­ge­hen. Das kann also zu­sam­men­kom­men.

Es ist aber fol­gen­de son­der­ba­re Er­fah­rung: Wenn eine Auf­ga­be, die wir bis­her frei­wil­lig er­füllt ha­ben, von nun an uns zur Pflicht wird, ver­lie­ren wir ein gut Teil Schwung; wir ha­ben nicht mehr so viel Lust wie vor­her. Und es ge­hört schon eine gute Por­ti­on in­ne­rer Stär­ke dazu, das frei­wil­lig und aus vol­lem Her­zen zu tun, was ei­nem gleich­zei­tig eine Pflicht ist.

Zum Glück ist es beim Pa­sto­ren­amt so, dass wir ei­nen weit­ge­hen­den Spiel­raum in der Er­fül­lung un­se­rer Auf­ga­ben ha­ben. Wo wir Schwer­punk­te un­se­rer Ar­beit set­zen, sei es in der Ju­gend- oder Al­ten­ar­beit oder als Drit­te-Welt-En­ga­ge­ment, sei es mehr dia­ko­ni­sche oder mehr ver­kün­di­gen­de Tä­tig­keit, das bleibt un­se­re per­sön­li­che Ent­schei­dung.

Frei­lich lie­gen auch ei­ni­ge Auf­ga­ben ver­hält­nis­mä­ßig fest, wie etwa die sonn­täg­li­chen Got­tes­dien­ste und die Amts­hand­lun­gen. Des­halb müs­sen auch wir die Er­mah­nun­gen des Petrus ernst neh­men und uns stän­dig auf un­se­re in­ne­re Be­tei­li­gung bei der Er­fül­lung un­se­rer Auf­ga­ben prü­fen.

Das Zwei­te war die War­nung vor der Ge­winn­sucht. Wer für eine Ar­beit Geld be­kommt, für den kann, selbst wenn er die Ar­beit gern und frei­wil­lig tut, die Be­zah­lung zu ei­nem Mo­tiv für die Ar­beit wer­den. Auch in die­ser Ge­fahr ste­hen wir als Chris­ten, auch wir Pa­sto­ren. Nicht, dass in die­sem Amt viel Geld an­zu­häu­fen wäre. Aber man könn­te sich etwa sa­gen: „Das mo­nat­li­che Ge­halt ist mir si­cher, also brau­che ich es mit mei­ner Ar­beit nicht so ernst zu neh­men.“ Oder man könn­te an­fan­gen zu rech­nen, das Ge­halt auf die tat­säch­li­che Ar­beits­zeit um­le­gen und sich sa­gen: „Künf­tig wird we­ni­ger ge­ar­bei­tet, es lohnt sich fi­nan­ziell nicht.“

Vor sol­chen Über­le­gun­gen und Be­rech­nun­gen warnt Petrus. Er hat of­fen­bar sei­ne Er­fah­run­gen da­mit schon ge­sam­melt. In der Lei­tung der Ge­mein­de, aber doch wohl auch bei an­de­ren Auf­ga­ben, soll nicht der fi­nan­ziel­le Ge­winn, son­dern die Auf­ga­be selbst das Mo­tiv un­se­res Ein­sat­zes sein. Dass die­ser Er­mah­nung nicht im­mer leicht nach­zu­kom­men ist, wis­sen wir alle.

Und das Drit­te: Nicht herr­schen, son­dern als Vor­bild die­nen. Je­des Amt gibt ei­nem ei­nen Herr­schafts­an­spruch, und sei er noch so klein. Dass es eine Ver­tei­lung der Auf­ga­ben, der Zu­stän­dig­kei­ten auch in ei­ner Ge­mein­de ge­ben muss, dar­über wird man sich schnell ei­nig wer­den kön­nen. Der da­mit ver­bun­de­nen Ver­tei­lung der Ver­ant­wor­tung in die­nen­der statt in herr­schen­der Wei­se ge­recht zu wer­den, ist nicht so ein­fach, wie man zu­nächst den­ken möch­te. Denn un­se­rer Ver­ant­wor­tung kön­nen wir oft­mals nur da­durch ge­recht wer­den, dass wir dem Wi­der­stand an­de­rer un­se­re ei­ge­ne Mei­nung, un­se­ren ei­ge­nen Wil­len nach­drück­lich ent­ge­gen­set­zen. In ei­ner sol­chen Aus­ei­nan­der­set­zung kann es zu vie­len Miss­ver­ständ­nis­sen kom­men. Man­chmal mö­gen wir selbst nicht mehr wis­sen, ob wir noch vom Wil­len des Die­nens oder schon vom Drang nach Herr­schaft er­fasst sind.

Die­se Er­mah­nun­gen des Petrus ha­ben es also in sich. Es reicht nicht, sie sich ein­mal an­zu­hö­ren und sie wie­der zu ver­ges­sen. An ih­nen müss­ten wir un­ser Ver­hal­ten tat­säch­lich über­prü­fen.

Nun er­mahnt Petrus nicht nur die Äl­te­sten, son­dern auch die Jun­gen. Ja, er er­mahnt uns alle, ein­an­der ohne per­sön­li­chen Stolz zu be­geg­nen, son­dern in De­mut. Sol­che De­mut hat uns Je­sus Chri­stus vor­ge­lebt.

Dass wir im­mer wie­der über die Strän­ge schla­gen wer­den, ist ge­wiss. Das braucht uns nicht zu ent­mu­ti­gen. Wir kön­nen nicht die voll­kom­me­nen Hir­ten sein, wie Je­sus Chri­stus es war, es ist und sein wird. Aber eben dar­um brau­chen wir die Er­mah­nun­gen des Petrus im­mer neu.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in der Kreuzkirche, Cuxhaven-Altenwalde, am 9. April 1978)

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