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7. Sonntag nach Trinitatis (4.8.19)


Wir brauchen Zeichen der Hoffnung

18. Juli 1999

7. Sonntag nach Trinitatis

Johannes 6,30-35


Es geht heu­te um Zei­chen. „Was tust du denn für ein Zei­chen, da­mit wir se­hen und dir glau­ben?“, fra­gen die Leu­te Je­sus. Sie wol­len ein Zei­chen se­hen, um glau­ben zu kön­nen, um an ihn glau­ben zu kön­nen.

Um klar zu m­a­chen, was sie mit ih­rer Fra­ge und Bit­te mei­nen, ver­wei­sen sie auf ein Zei­chen aus der Ver­gan­gen­heit, aus der Ge­schich­te des Vol­kes Is­rael, ein Zei­chen, das ei­ne nach­hal­ti­ge Wir­kung ent­fal­tet hat­te, das Man­na in der Wü­ste.

Viel­leicht er­in­nern Sie sich an die­se Ge­schich­te. Die Is­rae­li­ten hat­ten in ei­ner be­stimm­ten Pha­se ih­rer Ge­schich­te wie Fremd­ar­bei­ter in Ägyp­ten ge­lebt, hat­ten dort schwer ar­bei­ten müs­sen und wa­ren von den Ägyp­tern ge­schun­den wor­den. Es war für die Is­rae­li­ten wie ein Skla­ven­da­sein ge­we­sen, und sie hat­ten sich des­halb nach Frei­heit ge­sehnt. Mo­se führ­te sie dann in die Frei­heit mit dem Ver­spre­chen, sie in ein Land zu brin­gen, in dem sie in Ru­he und Frie­den wür­den woh­nen kön­nen, ein Land, wie er es po­e­tisch aus­drück­te, in dem Milch und Ho­nig fließt.

Der Weg in die Frei­heit soll­te am En­de vierzig Jah­re dau­ern. Es war ein be­schwer­li­cher Weg, ei­ne - nicht nur im wört­li­chen Sin­ne – „Wü­sten­wan­de­rung“. Der Weg in die Frei­heit war so be­schwer­lich, dass sich die Be­frei­ten manch­mal in die Un­frei­heit zu­rück­sehn­ten: „Ach, wä­ren wir doch bei den Fleisch­töp­fen Ägyp­tens ge­blie­ben“, stöhn­ten sie un­ter­wegs. „In Ägyp­ten hat­ten wir we­nig­stens zu es­sen! Was nützt uns die Frei­heit, wenn wir hier vom Hun­ger­tod be­droht sind!“

Sie glaub­ten Mo­se nicht mehr, sie glaub­ten sei­nem Ver­spre­chen nicht mehr, sie glaub­ten dem­je­ni­gen nicht mehr, auf den sich Mo­se be­rief. Er han­del­te ja im Auf­trag Got­tes.

Die Be­la­stun­gen des Le­bens kön­nen manch­mal un­er­träg­lich wer­den. Was kann dann hel­fen? Dann kann ein Zei­chen hel­fen. Ein Zei­chen der Hoff­nung. Und das heißt, ein klei­nes Stück Wirk­lich­keit, das an­ders ist als das bis­her Er­leb­te, das die Über­macht der bis­he­ri­gen Er­fah­run­gen in­fra­ge stellt, ein Stück po­siti­ver Ge­gen­wirk­lich­keit al­so, das der Hoff­nung noch ein­mal ei­ne Chan­ce gibt.

Für die auf ih­rer Wü­sten­wan­de­rung vom Hun­ger­tod be­droh­ten Is­rae­li­ten war es das Man­na. Mit knur­ren­den Mä­gen und nie­der­ge­schla­ge­nen Ge­mü­tern hat­ten sie sich ei­nes Abends schla­fen ge­legt. Als sie am nächs­ten Mor­gen auf­wach­ten und der Tau des Mor­gens ver­dun­stet war, sa­hen sie über­all auf dem Bo­den klei­ne Kör­ner lie­gen. Die Is­rae­li­ten wuss­ten da­mit zu­nächst nichts an­zu­fan­gen. Die Kör­ner wa­ren aber ess­bar. Mo­se for­der­te sei­ne Leu­te auf, die Kör­ner zu sam­meln, für je­de Fa­mi­lie ei­nen Krug voll. Das er­gab dann in der Tat ei­ne gu­te Mahl­zeit. Man meint heu­te, dass es sich bei die­sen Kör­nern wohl um die Ab­son­de­rung ei­ner Schild­laus ge­han­delt ha­ben könn­te, die sich von dem Saft der Ta­ma­ri­ske er­nährt. Die Be­du­i­nen be­nut­zen sol­che Kör­ner heu­te noch als Ho­ni­ger­satz.

In der Si­tu­a­tion des Hun­gers war dies die Ret­tung. Die Is­rae­li­ten nann­ten die Kör­ner „Man­na“, Brot des Him­mels. Und sie nah­men die­ses Man­na als ein Zei­chen der Hoff­nung. Als ei­nen Hin­weis dar­auf al­so, dass ihr Le­ben wäh­rend der Wü­sten­wan­de­rung nicht nur von Be­schwer­den be­stimmt war, dass es da viel­mehr auch noch Hilf­rei­ches und Er­freu­li­ches gab, dass sie al­so nicht voll­stän­dig und schutz­los ih­rer Not aus­ge­lie­fert wa­ren.

Wenn dieses Man­na auch nicht viel war im Ver­hält­nis zur Grö­ße ih­rer Not, so wa­ren sie doch be­reit, sich von die­ser klei­nen po­si­ti­ven Ge­gen­er­fah­rung lei­ten zu las­sen und ih­re Hoff­nung doch noch ein­mal zu er­neu­ern - ge­gen das Über­maß an Be­schwer­lich­kei­ten. Sie wa­ren be­reit, Mo­se mit sei­nen Ver­spre­chun­gen doch noch ein­mal Glau­ben zu schen­ken und das Ver­trau­en zu dem­je­ni­gen zu er­neu­ern, auf den sich Mo­se be­rief.

Das Man­na al­so war ein Zei­chen der Hoff­nung, und um sol­che Zei­chen geht es heu­te, um klei­ne po­si­ti­ve Ge­gen­er­fah­run­gen, die an­ge­sichts der Mäch­tig­keit der Pro­ble­me, der Ge­fähr­dun­gen, der Be­la­stun­gen, des Lei­ds ge­ra­de­zu wie Wun­der er­schei­nen.

Sol­che klei­nen Zei­chen der Hoff­nung sind not­wen­dig. Für die Is­rae­li­ten wäh­rend der Wü­sten­wan­de­rung war es das Man­na. Für man­che Men­schen vor 50-55 Jah­ren war es die al­te Ka­sta­nie, um mal ein klei­nes Bei­spiel aus un­se­rer Ver­gangen­heit zu er­zäh­len. Wir blicken ja in die­sem Jahr viel zu­rück, weil wir am 1. Ad­vent das 100jährige Ju­bi­läum un­se­rer Kir­che feiern. Vor ein paar Mo­na­ten, im März, hat­ten wir be­reits das 50jährige Ju­bi­läum des Wie­der­auf­baus un­se­rer Kir­che.

Die­se Kir­che war in ihrer ur­sprüng­li­chen Ge­stalt im Ju­li 1943 weit­ge­hend zer­stört wor­den - im Zu­ge der Bom­bar­die­rung Ham­burgs und in der Fol­ge ei­nes über­haupt schreck­li­chen Krie­ges. Der Krieg brach­te un­end­li­ches Leid über vie­le Men­schen. Er zerstörte Leben, er zer­stör­te Häu­ser – und er zer­stör­te in vie­len Men­schen auch den Glau­ben, den Glau­ben an das Gu­te und Schö­ne, den Glau­ben an den Men­schen, in vie­len Fäl­len den Glau­ben von Ein­zel­nen auch an sich selbst. Er zer­stör­te bei vie­len auch den Glau­ben an Gott, an den „lie­ben“ Gott, wie sie ihn als Kin­der zu nen­nen ge­lernt hat­ten.

Ei­ne Da­me aus un­se­rer Ge­mein­de hat­te uns mal ei­ne klei­ne recht po­e­tisch ab­ge­fass­te Ge­schich­te über ei­ne Ka­sta­nie über­reicht, ei­ne Ka­sta­nie hier auf dem Ge­län­de un­se­rer Kir­che. An dem Tag, an dem die­se Kir­che zer­bombt wur­de und das Feu­er das Kir­chen­dach zum Ein­sturz brach­te, stand auch je­ne Ka­sta­nie in Flam­men.

Von ihr blieb nur ein ho­her schwar­zer Stumpf übrig. Es war ein jam­mer­vol­ler An­blick. Und die Leu­te, die nach dem Feu­er­sturm, nicht nur ihr ganz per­sön­li­ches Leid zu be­kla­gen hat­ten, son­dern mit Trä­nen in den Au­gen auch vor un­se­rer Kir­che stan­den, fühl­ten sich in­ner­lich eben­so aus­ge­brannt wie die Kir­che und wie die­ser Baum.

Und dann ge­schah das, was in jenem Au­gen­blick der Trost­lo­sig­keit wohl kei­ner mehr für mög­lich ge­hal­ten hat­te: Aus dem ver­kohl­ten Über­rest des Bau­mes wuchs neu­es, fri­sches Grün her­aus. Aus dem schein­bar to­ten Holz spross neu­es Le­ben.

Sie kön­nen sich viel­leicht vor­stel­len, wel­che Wir­kung dies auf Pas­san­ten hat­te, als sie noch in­mit­ten der Trüm­mer­land­schaft aus dem schwarz-ver­kohl­ten Holz das er­ste fri­sche, zar­te Grün neu und un­er­war­tet her­vor­sprie­ßen sa­hen: Das war ein Zei­chen des Le­bens, der Kraft des Le­bens, der Kraft des Le­bens, die sich letzt­lich wie­der als stär­ker er­wie­sen hatte, als die Kraft des To­des. Das war ein Zei­chen der Hoff­nung, ei­ne Wie­der­be­le­bung des Glau­bens an den Schöp­fer, der sei­ne Men­schen noch nicht auf­ge­ge­ben hat, der noch ein­mal ei­nen neu­en An­fang schenkt.

Was für die Is­rae­li­ten das Man­na war, war für je­ne Da­me aus Ho­he­luft da­mals ge­gen En­de des Krie­ges die Ka­sta­nie. Wir brau­chen al­le sol­che klei­nen Zei­chen der Hoff­nung. Es kön­nen wirk­lich klei­ne Zei­chen sein. Sie zäh­len den­noch mehr als die Viel­zahl der Pro­ble­me, und sie kön­nen - wenn auch klein - den­noch ge­wich­ti­ger sein als schwer­ste Be­la­stun­gen, auch als die ei­nes Krie­ges.

Die Men­schen der Bi­bel da­mals, die sich an Je­sus ge­wandt hat­ten mit der Fra­ge: „Was hast du denn für ein Zei­chen zu bie­ten?“, woll­ten - et­was pro­vo­ka­tiv - von ihm wis­sen, ob er das Zei­chen des Man­na, des Him­mels­brots, über­bie­ten könn­te.

Er konn­te es. Für sei­ne Ge­sprächs­part­ner über­ra­schend - und in dem Au­gen­blick für sie noch nicht ver­ständ­lich - ant­wor­tet er: „Ich bin das Brot des Le­bens. Wer zu mir kommt, der wird nicht mehr hun­grig sein.“

Wir wis­sen heu­te schon eher, was er, Je­sus, ge­meint hat. In sei­ner Per­son näm­lich ver­kör­pert er, was für uns so wich­tig ist wie das täg­liche Brot, näm­lich: wah­re Mit­mensch­lich­keit, Ver­ge­bung, Lie­be, das Ja zum Men­schen und das Ja zum Le­ben - trotz al­ler wid­ri­gen Er­fah­run­gen.

Je­sus Chri­stus ver­kör­per­te in sei­ner Per­son ein Stück po­si­ti­ver Ge­gen­wirk­lich­keit. Er stell­te als ein Mensch we­nig Mas­se dar, aber er war eben ein Zei­chen. Das, wo­für er stand, soll­te im Ge­dächt­nis der Men­schen blei­ben, und er ist im Ge­dächt­nis der Men­schen ge­blie­ben - bis heu­te. Wenn es heu­te auch vie­le gibt, die mit ihm nicht mehr recht was an­zu­fan­gen wis­sen oder ihn gar nicht ken­nen, so ist die­se Un­kennt­nis, die­ses Un­wis­sen – vielleicht, hoffentlich - nur vor­ü­ber­ge­hen­der Na­tur.

Wir al­le brau­chen die­ses Zei­chen, die­ses gött­li­che Zei­chen der Mensch­lich­keit, un­se­re Ge­sell­schaft braucht die­ses Zei­chen, al­le Welt braucht es.

Das Kreuz, das To­des­werk­zeug, ist zum Zei­chen des Le­bens ge­wor­den, stär­ker noch als die ver­brann­te Ka­sta­nie. Denn am Kreuz war ein Mensch un­schul­dig zu To­de ge­bracht wor­den. Und er hat - als der Auf­er­stan­de­ne - trotz sei­ner ent­täu­schen­den Er­fah­run­gen an sei­ner Lie­be zu den Men­schen fest­ge­hal­ten. Er hat sich selbst mit sei­nem gan­zen Le­ben den Men­schen ge­schenkt.

Sein Leib war von Men­schen­hand ge­bro­chen wor­den. Er aber hat trotz­dem Men­schen­see­len ge­heilt. Bis heu­te ge­hen Heil und Hei­lung von ihm aus. Wenn wir in Got­tes­dien­sten das Abend­mahl feiern, dann er­in­nern wir uns an sei­nen zer­bro­che­nen Leib, und wir neh­men das Heil, das er uns schenkt, zei­chen­haft in Brot und Wein in uns auf.

Je­sus Chri­stus ist das Brot des Le­bens, Him­mels­brot, Brot Got­tes. Mö­ge er uns stär­ken und un­se­ren Hun­ger nach dem wah­ren Le­ben stil­len.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 18. Juli 1999)

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