Sich anlehnen können
Jesaja 43,1
„Fürchte dich nicht“, das war das Motto des Kirchentages in Hamburg 1981. Es gibt ein Plakat, das zu diesem Motto passt: Der alte Mann und das Kind.
Sich festhalten, sich anlehnen, die körperliche Nähe des Größeren spüren, das nimmt die Angst, das gibt Sicherheit und Geborgenheit. Unbekannt und fremd und übergroß ist die Welt noch für dieses Kind. Unerklärlich sind die vielen Dinge und Erscheinungen und Ereignisse. Vieles bestaunt es mit seinen großen Augen, aber vieles macht ihm auch Angst. Dann ist es gut, sich festhalten zu können an einem Größeren und aus der Sicherheit heraus betrachten zu können, was da ist und was da vor sich geht. Und den Finger in den Mund zu legen, damit der Kreis des Körperlichen geschlossen ist. Auch das gibt Sicherheit.
Und der Alte, der Lebenserfahrene? Er kennt seine Welt, er kennt die Wunder und die Gefährdungen, er hat sie durchlebt und durchlitten und durchstanden. „Wie lange noch?“, ist seine Frage. Er hält sich fest am Stock, nicht aus Angst, aus Gebrechlichkeit. Er spürt das Kind, den kleinen Leib, den kleinen Arm, der sein Bein umfasst. Er spürt, was er dem Kind bedeutet: Halt, er, der sich selbst halten muss. Welchen Schutz könnte er dem Kind geben, wenn es drauf ankäme? Und trotzdem gibt er Halt. Denn er ist da.
„Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir. Ich bleibe bei dir, ich werde immer bei dir sein. Ich werde mit dir gehen - durch Wasser und durch Flut.“
Das ist der Schutz, der uns zugesagt ist, das ist die Sicherheit, auf die wir vertrauen können: dass immer einer bei uns ist - auf den Höhen und in den Tiefen. Gott will nicht, dass diese Zusage nur ein Wort ist. Er hat sie Mensch werden lassen. Körperlich sollen wir sie erfahren. Wenn der Alte sein Bein umfassen lässt, dann gibt er dem Kind, was Gott ihm schenken will. Wenn wir uns an jemanden anlehnen können, erfahren wir die Güte Gottes. Wenn wir dem Sterbenden die Hand halten, wird ihm Gottes Trost durch uns zuteil.
„Fürchte dich nicht! Du bist mein. Ich bin und bleibe bei dir, spricht Gott, der Herr.“
(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 4.7.1989)