Wir brauchen auch Beständigkeit, Verlässlichkeit, Treue
2. Timotheus 1,10b
Leben ist Bewegung, Leben heißt: Sich ständig verändern. Wo keine Bewegung, keine Veränderung mehr ist, da ist auch kein Leben mehr. Das ist das eine: Wir wollen leben, wir wollen immer mal was Neues, das macht für uns das Lebendige am Leben aus.
Aber - und das ist die andere Seite: Ständige Bewegung heißt auch: Alles ist vergänglich. Das macht uns in mancher Hinsicht zu schaffen. Damit wollen wir uns nicht in jedem Fall ohne Weiteres abfinden. Mir fallen wenigstens drei Gründe ein, warum die Vergänglichkeit für uns zum Problem werden kann.
Zum einen: Sie gefährdet und zerstört leibhaftige Beziehungen. Sie reißt Menschen auseinander - oder auch Mensch und Tier - oder Mensch und Landschaft. Bei Beerdigungen erleben wir das immer wieder, dass einer den Blumenstrauß ins Grab wirft mit den Worten: „Bis bald!“ Der Tod hat Menschen auseinandergerissen. Unbändig kann die Sehnsucht sein, die Trennung wieder zu überwinden.
Ein anderer Aspekt der Vergänglichkeit ist die Treue - oder besser gesagt, dass die Treue ihre Grenzen hat. Sich gegenseitig die Treue zu schwören, gehört wohl zu dem Anspruchsvollsten, was wir uns zumuten können. Wie brüchig kann Treue sein, nicht nur in der Zweierbeziehung! Wie flüchtig sind unsere Beziehungen überhaupt! Wie leicht vergessen wir einander! Wie wenig können wir uns aufeinander verlassen! Und wie groß ist doch die Sehnsucht nach einer Treue, die unverbrüchlich ist, nach einem Ort, an dem wir uns geborgen wissen, nach einem Menschen, der unerschütterlich zu uns hält!
Noch ein dritter Aspekt der Vergänglichkeit: Die Vorläufigkeit. Alles ist noch so unfertig, alles befindet sich in einer ständigen und teilweise immer rasanteren Entwicklung, alles scheint irgendwie auf ein Ziel zuzustreben, auf die Vollendung. Und wir stehen mitten in diesem Prozess des ständigen Wandels, verändern uns selbst, stehen von Augenblick zu Augenblick neuen Situationen gegenüber - und hätten doch so gerne auch mal etwas, das fertig, das vollendet ist, das keiner Entwicklung, keiner Wandlung mehr unterworfen ist und keiner Veränderung mehr bedarf. Wir wären an ein Ziel gelangt und könnten zur Ruhe kommen.
Der Wochenspruch sagt: „Jesus Christus hat ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht. Er hat dem Tod die Macht genommen und hat uns das Leben geschenkt durch das Evangelium.“
An ihm, Jesus Christus, können wir neu diskutieren, was das heißt: „Leben“, und was das heißt: „Tod“. Jesus Christus steht für Überwindung des Todes, für Auferstehung. Und er steht für Treue: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Und er steht für das Unveränderliche, das über jeder Entwicklung Stehende: „Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.“
(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 28. September 1982