Leben mit Mut und Vertrauen
1. Petrus 5,7
Wenn wir aus dem Haus gehen, zur Arbeit oder wohin auch immer, hören wir nicht selten den Satz: „Pass schön auf, sei vorsichtig, komm heil wieder!“
Ich denke jetzt gerade an meine Frau, die mir diese Sätze oft mit auf den Weg gibt. Aus diesen Worten spricht eine große Sorge und zugleich eine große Ohnmacht. Alles Mögliche könnte passieren. Wer morgens zu Hause bleibt und beim Frühstück das Radio anhat, der bekommt es gewissermaßen aufs Brot geschmiert, was da schon wieder alles passiert ist, bevor der Tag richtig begonnen hat.
Solche Nachrichten gehören wie unabwendbar zu unserem Leben. Wir versuchen, uns gegen sie zu wehren, indem wir sie überhören. Aber wenn dann draußen gerade wieder der Krankenwagen vorbeiheult, und derjenige nicht im Hause ist, den wir besonders gern haben, dann ist es gar nicht immer so einfach, die innere Unruhe ganz zu unterdrücken.
Das Leben ist voller Risiken. Was wir an Vorsorge tun können, ist wenig. Wir können zwar manches tun und sollen es tun. Aber die Wirkung unserer Vorsorge ist im Verhältnis zur Größe der Gefahren gering. Die Sorge, dass etwas passieren könnte, hat ihren Grund. Wenn wir dann antworten: „Mach dir keine Sorgen, es wird schon nichts passieren!“, dann ist das nicht mehr als der Versuch zu beruhigen, die Gefühle herunterzuspielen, die Angst durch Worte einzudämmen.
„Mach dir keine Sorgen“ - das heißt nicht: „Es wird nichts passieren.“ Es kann nur heißen: „Hab Vertrauen. Glaube daran, dass alles gut gehen wird, trotz der vielen Gefahren, die draußen lauern. Bleibe ruhig und wende dich den Dingen zu, die dir Freude bereiten.“
Welchen Sinn kann ein solcher Versuch der Beruhigung haben? Ist er Augenwischerei? Ist er eine Form von Unehrlichkeit, Unwahrhaftigkeit? Ist er eine Ration Opium aus der Religion des Normalverbrauchers?
Es ist eine religiöse Aussage, und zwar eine sinnvolle, heilsame. „Mach dir keine Sorgen!“ - damit sprechen wir den unverfügbaren Grund unseres Daseins an und fällen eine Entscheidung: Wir wählen das Leben. Wir wählen die Hingabe an das Leben.
Wir könnten ja auch anders entscheiden: Wir könnten uns in den Sog der Verzweiflung hineinreißen lassen. Wenn wir uns die Gefahren des Lebens nur immer wieder deutlich vor Augen führten, würden wir kaputtgehen. Das würden wir gar nicht aushalten. Wir können froh sein, dass wir schon von Natur aus einen gewissen Schutzmechanismus mitbekommen haben, der die Angst vor den Lebensgefahren in unserem Gefühlsgebäude herunterstuft.
In unserem christlichen Glauben ist dies zu einer ganz bewussten Entscheidung geworden: Wir lassen uns nicht kaputt machen durch eine noch so gut begründete Sorge. Wir wehren uns gegen den Verzweiflungstod. Wir wählen das Leben. Wir werfen unsere Sorge ab und legen unser Leben vertrauensvoll in die Hand dessen, der uns geschaffen hat und der alle Fäden unseres Lebens in seiner Hand hält. Dieses Vertrauen kommt nicht aus der Meinung, dass uns tatsächlich nichts passieren würde, sondern aus dem Wunsch zu leben und der Einsicht, dass die Sorge Leben unterdrückt.
Ich möchte es noch deutlicher formulieren. Man könnte auch sagen: Es gehört zu den Widersprüchen unseres Daseins, dass sich uns die ganze Fülle des Lebens, die ganze Schönheit des Lebens erst dann erschließt, wenn wir uns voll den Gefahren des Lebens aussetzen, wenn wir bereit sind, die Risiken einzugehen.
Der Volksmund sagt: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“ Erst wenn wir uns selbst aufs Spiel setzen, können wir erleben, was uns das Leben an Schönem zu bieten hat. Die Angst zum Beispiel davor, Menschen zu vertrauen aus Sorge vor Enttäuschungen, nimmt uns die Möglichkeit, die heilsamen Kräfte einer vertrauensvollen Gemeinschaft zu erfahren. Und die Angst vor dem vollen Einsatz für eine Sache aus Sorge, es könnte etwas schiefgehen, verhindert, dass wir die Sache selbst jemals erlangen.
Leben ist ein Risiko. Erst wenn wir dieses Risiko auf uns nehmen, können wir im vollen Sinne des Wortes leben.
(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 16. September 1980)