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18. Sonntag nach Trinitatis (29.9.24)


Wie viel sind wir wert?

9. Sonntag nach Trinitatis

28. Juli 2002 

1. Petrus 4,7-11


Was ist uns unser Leben wert - „in Geld wert“? Ich stelle diese Frage, weil in letzter Zeit im Zusammenhang mit den diversen Affären immer häufiger von einer „Ökonomisierung unseres ganzen Denkens und Handelns“ die Rede ist. In vielen öffentlichen Diskussionen geht es immer wieder ums Geld. Was ist uns unser Leben in Geld wert? Wenn wir unser Leben kaufen könnten, was würden wir dafür bezahlen? Oder was würden wir dafür geben, um es behalten zu können? In Fällen, in denen ein Lösegeld zu zahlen ist, kann diese Frage kalt und brutal auf den Tisch kommen. Oder wenn wir einmal an einen unerfüllten Kinderwunsch denken: Was würden wir zahlen, um doch noch irgendwie ein Kind zu bekommen?

Oder: Was ist eine Frau wert? Für eine junge Frau in Somalia bietet der Vater des Bräutigams 10 Kamele; die junge Frau ist ganz stolz darauf, so viel wert zu sein. Ein Fußballverein will für seinen Spieler etliche Millionen Euro haben. Ganz so viel Geld wie gefordert war dem anderen Verein dieser Spieler allerdings nicht wert. Und beim Aufkauf einer Firma musste eine leitende Führungskraft abgefunden werden: 30 Millionen Euro wurden für den Abgang der Person gezahlt. Das mochte das Selbstwertgefühl des Betreffenden wohl gehoben haben.  

Verzeihen Sie, ich möchte jetzt nicht ironisch werden. Es geht mir um die Frage unseres Wertesystems. Ist da etwas aus den Fugen geraten? Wenn wir Radio hören oder fernsehen, wird uns auf manchen Sendern immer wieder die Stimmung an den Börsen mitgeteilt, der Stand der diversen Aktien. Das ist in den letzten Jahren offensichtlich zu etwas besonders Wichtigem geworden. Ist das nicht auch ein Anzeichen für die „Ökonomisierung unserer Lebensverhältnisse“? Statt uns den steigenden oder fallenden Wert dieser und jener Aktien mitzuteilen, könnten die Rundfunk- und Fernsehsender doch auch mehrmals täglich darüber berichten, wie viele Menschen gerade wieder verhungert sind, wie viele Kinder gerade wieder auf Minen getreten sind, wie viele Frauen gerade wieder durch Beschneidung verstümmelt worden sind ... Ich will damit sagen: Es gäbe durchaus auch andere Themen, die mit den wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen auf unserem Erdball zu tun haben, die aber nicht so direkt den gegenwärtigen Kontostand eines offenbar nicht ganz unbedeutenden Teils unserer Gesellschaft betreffen.

Geld ist natürlich wichtig, um unsere Lebensverhältnisse zu regeln. Wenn wir kein Geld haben oder nur sehr wenig, kann das schon ziemlich schlimm sein. Aber wenn gegenwärtig von einer Ökonomisierung unserer Lebensverhältnisse geredet wird, geht es nicht um diejenigen, die ganz wenig Geld haben, sondern mehr um diejenigen, die so viel davon haben, dass ihr Denken vor allem mit der möglichst gewinnträchtigen Geldanlage beschäftigt ist. Da kommen dann auch Risiken ins Spiel. Die damit verbundenen Sorgen können sich verselbständigen, so, als ob die Glückseligkeit am Geld hinge und vom Kurs des Aktienwertes abhinge. Wenn unser Denken und Fühlen auf diese Schiene geraten ist, kann es geraten erscheinen, unser Wertesystem zu überprüfen.

Was ist uns unser Leben wert? Mit dieser Frage hatte ich begonnen. Unser Leben ist uns eine Menge wert. Sind wir uns immer dessen bewusst, dass wir diesen Wert nicht aus uns selbst heraus geschaffen haben - und dass wir diesen Wert auch nicht allein aus eigener Kraft erhalten können? In früheren Jahrhunderten gab es Menschen, die gesagt haben, wenn sie es sich leisten konnten: Wenn ich diese Krankheit überstehe, wenn ich die Pest überstehe, stifte ich eine Kirche. Manche Kirche verdankt ihre Existenz in der Tat der Dankbarkeit eines Menschen für die Bewahrung seines Lebens. Da ist einem Menschen in einer Lebenskrise immerhin deutlich geworden, dass der Wert seines Lebens nicht sein eigenes Verdienst ist und dass, wenn ihm dieser Wert erhalten bleibt, er davon - auch in wirtschaftlicher Hinsicht - etwas abgibt, demjenigen nämlich, der letztlich die Quelle dieses Wertes ist: Gott, dem Ursprung allen Lebens.

Hiermit möchte ich nicht indirekt zu Spenden für die Kirche aufrufen. Ich möchte im Sinne unseres Predigttextes - und angesichts der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion - einfach dazu aufrufen, dass wir uns noch einmal neu fragen, was denn den Wert unseres Lebens ausmacht, woher wir diesen Wert empfangen haben und wie wir mit diesem Wert angemessen umgehen könnten. Unser Predigttext legt uns nahe, uns des göttlichen Ursprungs unseres Lebens stets bewusst zu bleiben, auch des göttlichen Ursprungs all der Gaben und Begabungen, die wir haben. Und dass es angemessen ist, diesem Schöpfer die Ehre zu geben und ihm unseren Dank zu sagen. 

Diese Ehrerbietung und Dankbarkeit können wir ihm einerseits z. B. in einem Gottesdienst erweisen, aber eben auch - und das legt uns der Predigttext heute besonders nahe - auch, indem wir unsere Gaben und Begabungen zugunsten unseres Mitmenschen einsetzen: Gott danken, indem wir uns dem Mitmenschen liebevoll zuwenden: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“

Der Egoismus ist nicht unser biblischer Auftrag. Wir dürfen und sollen uns zwar des Lebens freuen, aber wir sollen auch andere daran Anteil haben lassen und auch ihnen den Weg zu Freude und Wohlergehen eröffnen. Das sehen durchaus viele Menschen so und handeln dementsprechend. Es wird sehr viel Gutes getan. Es ist dennoch nötig, dass wir uns immer wieder auf unsere christlichen Werte besinnen, uns immer mal wieder gegenseitig ermahnen und uns vor allem selbst korrigieren, wo wir erkannt haben, dass wir auf einem unguten Weg sind. Ich möchte das Letzte noch unterstreichen. Es wäre nicht gut, wenn wir uns vor allem darum bemühen würden, die Irrwege anderer aufzudecken. Unkorrektheiten müssen zwar aufgedeckt werden. Aber bei der kritischen Überprüfung - und eventuellen Korrektur -  sollten wir uns selbst nicht vergessen und am besten bei uns selbst anfangen. Es heißt in unserem Predigttext nicht: „Sorgt dafür, dass andere einander mit ihren Gaben dienen.“ Der Anspruch richtet sich vielmehr direkt an uns: „Dient ihr einander und gebt Gott die Ehre.“ 

In diesem Sinne lassen Sie unser Leben ein Dank sein für all die Gaben, die wir von Gott empfangen haben.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 28. Juli 2002)

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